Tief im Wald

Er versprach, zu kommen. Ich ging seufzend zur Umkleide und zog mich um, danach ging ich nach Hause. Ich setzte mich an den Schreibtisch, nachdem ich mir ein Glas Wasser geholt hatte, und machte mich an die Hausaufgaben. Es waren knifflige Aufgaben, doch ich schaffte es mit der Zeit, ihre Struktur zu verstehen und konnte sie lösen. Meine Gedanken wanderten immer wieder zu Dean und ich konnte mich nicht mehr konzentrieren.

Ich lief blind vor Dunkelheit durch denWald, stolperte immer wieder über Äste und Wurzeln. Hinter mir hörte ich immer wieder Deans Stimme, die meinen Namen rief. Aber ich wollte nicht zurück, ich konnte nicht. Ich wusste nicht, warum ich das vorhin gesagt hatte und wollte nicht wissen, was er jetzt von mir dachte. Trotz der Dunkelheit, trotz der Hindernisse und der Tatsache, dass ich schon zweimal gegen einen Baum gerannt war, lief ich mit unvermindertem Tempo weiter. Irgendwann, ein silbriges Funkeln vom Sonnenaufgang blinzelte schon durch die Bäume, stolperte ich und blieb liegen, ich wollte nicht mehr weiter. Um mich herum standen nur Bäume, aber ihc war mir nicht bewusst, dass etwa zehn Meter der Wald aufhörte und an unser Grundstück grenzte. Nochimmer hallte Deans Stimme in meinem Kopf nach. Ich begann leise zu schluchzen und schlug die Hände vors Gesicht. "Ich hätte es nicht sagen sollen..." murmelte ich immer wieder.

Mittlerweile ging die Sonne auf und ich hatte Lena immer noch nicht finden können. Mein Tempo verlangsamte sich, seltene Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich schrie mir die Kehle aus dem Hals, aber es folgte einfach keine Antwort.
Dann endlich hörte ich ein leises Schluchzen am Waldrand. Ich sah Lena zwischen Bäumen liegen. Sie hatte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen. Sofort lief ich zu ihr und nahm sie in den Arm. Die Tränen liefen mir genauso wie ihr über die Wangen. Sie hatte viele Kratzer und einige blutende Stellen. "Was machst du denn nur für Sachen?" fragte ich sie und ließ sie nicht mehr aus meinen Armen heraus.

Ich lag einfach nur da und weinte. Der Ast einer Brombeerstaude hatte sich an meinem Knöchel verfangen, den schon viele rot leuchtende Kratzer und einige tiefere, blutende Schrammen zierten. Ohne auf den Schmerz zu achten, riss ich meinen Fuß aus der dornigen Umklammerung, was mir mindestens zehn weitere Kratzer einbrachte, von denen etwa drei bluteten. Deans Rufe hörte ich nicht mehr, ich hörte nur noch den Wald und mein Schluchzen, übertönt von dem einen hämmernden Gedanken: "Will er mich jetzt noch?" Bevor ich selbst eine Antwort darauf finden konnte, schlossen mich zwei starke, bekannte Arme ein. "Was machst du denn nur für Sachen?" fragte Dean leise, die Stimme erstickt vor Tränen. Seine Arme liesßen mich nicht gehen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte einfach nur hier in seinem Arm liegen und ihm Nahe sein. "Du willst mich also noch?" fragte ich ganz leise, eine eigenartige Angst machte sich in meinem Inneren breit, Angst vor der Antwort. Was, wenn er nein sagt? Wenn er mich fortschickt? Diese Gedanken waren eindeutig die Falschen, ich weinte heftiger. Mein Körper wurde von leichten Beben der Trauer und Angst geschütteltn und ich krallte mich unbewusst in Deans Shirt, ich wollte ihn nicht verlieren.

Lena hat sehr intensiv geweint, so hatte ich sie noch nie erlebt. "Du willst mich also noch?" fragte sie ganz leise, gerade noch so, dass ich es verstehen konnte. Sie krallte sich in mein Shirt. Meine Arme umschlossen sie wie einen großen Schatz, den ich nie wieder hergeben will. "Ja natürlich will ich dich. Ich hab auch nie etwas anderes behauptet." Dann erhob ich mich legte einen Arm unter Lenas Kniekehlen und mit dem anderen stützte ich ihren Rücken. Ihre Arme umschlungen meinen Nacken. Ich trug so in die Villa, die nicht mehr weit entfernt war. In der Villa angekommen brachte ich sie sofort nach oben in unser Schlafzimmer, zog ihr die verschmutzten und kaputten Sachen aus und tupfte mit einem lauwarmen Lappen über ihre Wunden. "Ruh dich erstmal aus. Die Schule kann heute mal ruhen." sagte ich ihr.